Dabei sein ist alles reloaded
Oder: Von Helden der Herzen
Deutsches Eishockey-Team: Die neuen „Bad Boys“
Genau deshalb fängt diese
Liste auch mit Silbermedaillengewinnern an. Dass Silber für das deutsche Eishockeyteam
golden glänzt, dürfte jeder verstehen, der dieser Mannschaft in Pyeongchang
zugesehen hat. Niemand, wirklich niemand hatte diese Mannschaft als
Medaillenkandidaten auf der Rechnung. Vor vier Jahren waren sie gar nicht
qualifiziert, ein Überstehen der Gruppenphase hätte diesmal wohl gereicht, um
eine positive Bilanz zu ziehen. Es sollte anders kommen. Weltmeister Schweden
in der Verlängerung bezwungen, im Halbfinale mit Kanada die Eishockey-Nation
schlechthin ausgeschaltet. Auch das russische Team hatten sie am Rande einer
Niederlage. 55 Sekunden fehlten zum Olympiasieg, als Russland den Ausgleich
schoss. Und doch ist Silber keine Niederlage. Es ist ein unglaublicher Erfolg,
ein Kraftakt, in erster Linie aber eine Teamleistung. Christian Ehrhoff hat die
Fahne bei der Abschlusszeremonie getragen. Für das ganze „Team D“, wie er
sagte. Für alle Eishockeyspieler, aber auch für die Biathleten, alpinen
Skifahrer, Rodler, Kombinierer, Eistänzer und alle anderen, die in Pyeongchang
dabei waren. Da hat einer den Teamgedanken wirklich verinnerlicht. Ich habe
mich in dieses Team verliebt, ähnlich wie in die als „Bad Boys“ titulierten
Handballer nach deren EM-Triumph 2016. Ihr könnt mich Eventfan nennen, es macht
mir nichts aus. Diese Mannschaft hat jeden einzelnen verdammten Fernsehzuschauer
bei diesem Turnier so was von verdient gehabt.
Lindsey Vonn: Sieg über sich selbst
Über Lindsey Vonn wird
viel geschrieben. Nicht immer hat das nur mit Sport zu tun. Ihr Privatleben
beherrscht die Medien, Modelfotos von ihr sind scheinbar wichtiger für die
breite Öffentlichkeit. Was sagt Vonn selbst? „Eigentlich will ich nur
Skifahren.“ Und das kann keiner bestreiten. Ungefähr eine Milliarde
Verletzungen hat sie in den letzten Jahren gehabt. Trotzdem nicht aufgegeben. Die
Olympischen Spiele in Sotschi verpasst. Sie hat sich wieder zurückgekämpft. Ist
auf Unverständnis gestoßen, weil sie sich das immer wieder antut. In
Pyeongchang wollte sie es allen zeigen und Gold gewinnen. Kurz vor den Spielen
der nächste Rückschlag: der Tod ihres Opas. Vermutlich wollte sie deshalb
dieses Gold noch mehr, für ihren Opa.
Nein, diese Geschichte hat kein Happyend. Lindsey Vonn hat kein Gold geholt. Bronze in der Abfahrt, Sechste im Super-G, in Führung liegend ausgeschieden in der Super-Kombination. Tränen fließen, das Lächeln will nicht recht gelingen. Ich möchte Lindsey zurufen, dass sie trotzdem wahnsinnig viel gewonnen hat. Sie ist die älteste alpine Skifahrerin, die jemals eine olympische Medaille gewonnen hat. Sie hat über sich selbst, über ihren Körper gesiegt. Hat nicht aufgegeben und nach all den Verletzungen bewiesen, was in ihr steckt. Und ich bin mir sicher, dass ihr Opa „da oben“ auch auf ihre Bronzemedaille unglaublich stolz ist.
Nein, diese Geschichte hat kein Happyend. Lindsey Vonn hat kein Gold geholt. Bronze in der Abfahrt, Sechste im Super-G, in Führung liegend ausgeschieden in der Super-Kombination. Tränen fließen, das Lächeln will nicht recht gelingen. Ich möchte Lindsey zurufen, dass sie trotzdem wahnsinnig viel gewonnen hat. Sie ist die älteste alpine Skifahrerin, die jemals eine olympische Medaille gewonnen hat. Sie hat über sich selbst, über ihren Körper gesiegt. Hat nicht aufgegeben und nach all den Verletzungen bewiesen, was in ihr steckt. Und ich bin mir sicher, dass ihr Opa „da oben“ auch auf ihre Bronzemedaille unglaublich stolz ist.
Aksel Lund Svindal: Wenn der fairste Verlierer zum
Gewinner wird
Eine ähnliche Geschichte.
Aksel Lund Svindal, norwegischer Skifahrer. 35 Jahre alt. Im alpinen Skisport
also auch schon einer der Veteranen. In Sotschi als Vierter der Abfahrt
hauchdünn an der Medaille vorbeigefahren. Seine damalige Fairness ist mir bis
heute im Gedächtnis. Aksel Svindal war der fairste Verlierer in Sotschi. Hat allen
drei Medaillengewinnern aufrichtig gratuliert. Bode Miller nach dessen
Enttäuschung getröstet. Olympiasieger der Herzen. Alles gewonnen, aber
Abfahrts-Gold bei Olympia hat gefehlt. Pyeongchang hat gezeigt, dass die Zeit
manchmal doch Märchen schreibt. Der Unvollendete hat sich vollendet. Abfahrts-Olympiasieger.
„Ich habe davon geträumt, aber nicht gewagt, daran zu denken“, schreibt er auf
Instagram. Jetzt darf Aksel immer daran denken. Dieses Gold bleibt. Für immer.
Foto: The Japan Times
Laura Dahlmeier: Die Königin des Biathlon
Eventuell ist es nicht
ganz fair, dass ich schon vor Beginn der Spiele beschlossen habe, dass Laura Dahlmeier
auf diese Liste muss. Sie hat jedoch ihren Platz darauf mehr als
gerechtfertigt. Die harten Fakten: Zweimal Gold, einmal Bronze. Erfolgreichste
Athletin im deutschen Team. Aber Laura Dahlmeier ist so viel mehr. Bodenständig,
bescheiden, fair. Ich habe noch nie eine Sportlerin mit so unfassbar viel
Talent gesehen, die mir gleichzeitig so sympathisch war. Sie hatte die Ehre,
die erste deutsche Goldmedaille zu gewinnen. Statt großer Siegesgesten hat sie
ehrliche Freude gezeigt und ich habe gespürt, dass das aus allertiefstem Herzen
kommt.
Dahlmeier hätte noch mehr Medaillen gewinnen können. Die Staffeln. Beide Male war ihre Leistung tadellos. Die Teamkollegen waren’s, die daneben schossen. Sie hätte beleidigt sein können, sauer, dass die anderen es „versaut“ haben. War sie nicht. Kein böses Wort. Enttäuschung ja, Vorwürfe nein. Ihr Instagram-Post: „Man gewinnt gemeinsam, man verliert gemeinsam.“ So soll es sein.
Ich wünsche mir wirklich, dass Laura Dahlmeier dem Biathlon-Sport erhalten bleibt. Weil sie nicht nur eine tolle Sportlerin ist, sondern auch ein wertvoller Mensch.
Dahlmeier hätte noch mehr Medaillen gewinnen können. Die Staffeln. Beide Male war ihre Leistung tadellos. Die Teamkollegen waren’s, die daneben schossen. Sie hätte beleidigt sein können, sauer, dass die anderen es „versaut“ haben. War sie nicht. Kein böses Wort. Enttäuschung ja, Vorwürfe nein. Ihr Instagram-Post: „Man gewinnt gemeinsam, man verliert gemeinsam.“ So soll es sein.
Ich wünsche mir wirklich, dass Laura Dahlmeier dem Biathlon-Sport erhalten bleibt. Weil sie nicht nur eine tolle Sportlerin ist, sondern auch ein wertvoller Mensch.
Aljona Savchenko (mit Bruno Massot): Die
Vollendete
Ihr ganzes Leben hat sie
darauf hingearbeitet. Aljona Savchenko versucht seit 2006, Olympiasiegerin zu
werden. Bislang ist sie immer gescheitert. Sie und ihr früherer Partner Robin
Szolkowy haben Fehler gemacht, in den olympischen Finals von 2010 und 2014.
Zweimal Bronze die Ausbeute. Nicht genug für die ehrgeizige Aljona. Sie sucht
sich einen neuen Partner. Einen Franzosen, Bruno Massot. Mit ihm will sie es
noch einmal probieren. Doch wieder scheint das Glück nicht unbedingt auf ihrer
Seite zu sein. Platz 4 im Kurzprogramm, Gold ist fast weg. Bruno verspricht
Aljona, dass sie nicht wieder mit Bronze nach Hause fahren muss. Und dann diese
Kür. Eine unfassbare Leistung in jeder Hinsicht. Und das Wunder wird wahr. Gold.
Und viele, viele Tränen. Bei Aljona und bei Bruno. Sie hat es geschafft, ist
angekommen auf dem Olymp. Nein, sie haben es gemeinsam geschafft. Sich
gegenseitig gepusht, getragen von dem Wunsch, endlich ganz oben zu stehen. Jeder
einzelne Trainingstag macht sich in einem einzigen Moment bezahlt.
Deutsche Kombinierer: Wenn Teamgeist alles
überragt
Die deutschen Kombinierer
haben Gold im Teamwettbewerb gewonnen. Doch aus meiner Sicht haben sie die
unfassbarste Teamleistung im Einzelwettbewerb erbracht. Vierter, Fünfter, Sechster
nach dem Springen. Frenzel, Rydzek und Rießle laufen gemeinsam, jagen die
Führenden. Jeder einzelne will, dass neben ihm auch die beiden anderen gut
abschneiden. Es funktioniert. Gold, Silber, Bronze. Ein kompletter Medaillensatz
für das Team. Im Ziel sind sie alle Gewinner, liegen sich zu dritt in den
Armen. Vier Jahre nachdem sie sich in Sotschi noch selbst um Erfolge gebracht
hatten, weil Rießle und Rydzek sich gegenseitig im Weg standen, hat sie jetzt
ihr Teamgeist zu den größten Gewinnern der Spiele gemacht.
Foto: SRF.ch
Ester Ledecka: Die Alleskönnerin
Im Snowboard sollte ihre
Stunde schlagen, der Super-G nur Vorgeplänkel. So war der Plan der Tschechin
Ester Ledecka. Es sollte anders kommen. Mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung
gewinnt sie Olympiagold – und kann es selbst nicht glauben. „How did this
happen?“, fragt sie die Österreicherin Anna Veith, die, schon als Olympiasiegerin
gefeiert, plötzlich doch gratulieren muss. Interviews gibt sie mit Skibrille –
Begründung: Sie habe diesen Sieg nicht erwartet und sich daher nicht
geschminkt. Selbst in der Pressekonferenz behält sie die Brille auf. Einige
Tage später folgt das erwartete Snowboard-Gold. Ihr Popstar-Papa verspricht ihr
einen eigenen Song. Ester Ledecka darf man jetzt kennen in der Sportwelt. Eine,
die menschlich wirkt trotz ihrer Erfolge. Die sich, wie die Anekdote mit der
Skibrille beweist, selbst nicht allzu ernst nimmt. Und die beweist, dass die
überraschenden Erfolge fast immer schöner sind als Favoritensiege.
Foto: Express
Mariama Jamanka/ Lisa-Marie Buckwitz: Die
Unterschätzten
Ich erwähnte gerade
überraschende Erfolge und Favoriten. Gutes Stichwort. Auch Bobpilotin Mariama
Jamanka und Abschieberin Lisa-Marie Buckwitz waren nicht unbedingt dazu
auserkoren, Olympiasieger zu werden. Sie mussten sich erst zusammenraufen, weil
der Verband die Bobteams auseinanderriss. Weil Stephanie Schneider, die zweite
deutsche Pilotin, als Goldfavoritin galt, musste Jamanka auf ihre Anschieberin
Annika Drazek verzichten, die auf Wunsch des Verbandes in Schneiders Bob
wechselte. Schneider und Drazek – das vermeintliche Gold-Team, Jamanka und
Buckwitz die Nummer zwei. Es sollte anders kommen. Nach vier Läufen lagen die
vermeintlichen Underdogs vorne. Olympiasieger. Damit hatten noch nicht einmal
sie selbst gerechnet. Und doch gibt es vermutlich keinen, der ihnen das nicht
gönnen konnte. Es leben die Überraschungssieger!
Shiva Keshawan: „Dabei sein ist alles“ – im wahrsten
Sinne das Wortes
Mir ist aufgefallen, dass
ich jetzt doch nur Medaillengewinner in diese Liste aufgenommen habe. So sollte
es eigentlich nicht sein. Also: Rodler Shiva Keshawan. Niemand verkörpert den
olympischen Geist so wie er. Ein Inder. Bei Olympischen Winterspielen. Ja, tatsächlich.
Einfach ist das nicht gerade. Finanzieren muss er sich durch Crowdfunding, seine
Schlitten konstruierte er zeitweise selbst, weil er es sich nicht leisten
konnte, einen zu kaufen. Und doch – sage und schreibe sechs Mal hat er es zu
Olympia geschafft. Seit 1998 war er jedes Mal dabei. Meine Güte, 1998! Da war
ich noch nicht mal geboren! Irgendwie ist er doch ein Großer, dieser Shiva
Keshawan.
Foto: Sify.com
Arnd Peiffer: Mit Pannen zum Olympiasieg
Wieder ein Olympiasieger
und doch auch ein Gescheiterter. Es fing bereits vor dem ersten Olympiarennen
an. Morgens verliert er den Schlüssel zum Gewehrschrank. Dann bricht sein Schlagbolzen.
Kurz vor dem Rennen rutscht er aus und schlägt sich den Ellenbogen an. Pech und
Pannen, aber eine Pleite sollte dieser Tag nicht werden. Sprint-Olympiasieger.
Gegen Fourcade, gegen Bö, gegen unglaublich viele Andere. Einige Tage später
wird er zum tragischen Helden. Als Schlussläufer der Mixed-Staffel sollte er
den Sack nur noch zumachen. Dann schießt er eine Strafrunde – das Team wird
Vierter. Vielleicht auch aufgrund eines umstrittenen Manövers des Italieners
kurz vor Schluss. Peiffer hat viel einstecken müssen nach diesem Rennen. Wortspiele
mit seinem Nachnamen sind auf Twitter eher die Regel als die Ausnahme. Er hat
mir nach diesem Rennen sehr Leid getan. So oft müssen Sportler Maschinen sein
anstatt von Menschen, Fehler werden schwer verziehen. Insbesondere wenn wie in
diesem Rennen drei andere durch einen individuellen Fehler um eine Medaille
gebracht werden. Zum Glück gab es für Peiffer noch ein Happyend. Klasse
Leistung in der Männer-Staffel, Bronze. Ein versöhnlicher Abschluss.
Ich könnte noch eine
Weile so weitermachen, denn es gab unglaublich viele tolle Momente in
Pyeongchang 2018. Der gemeinsame Einlauf von Nord- und Südkorea bei der
Eröffnungsfeier, der ein Schritt zur Versöhnung sein könnte. Das
Herzschlagfinale zwischen Fourcade und Schempp, der sich über Silber freute wie
über Gold. Die Gratulation des Langlauf-Olympiasiegers an die Athleten aus Tonga,
Kolumbien und Mexiko, die „Exoten“ im Wintersport, die als Letztes über die
Ziellinie liefen. Felix Loch und warum man manchmal scheitern muss, um ein ganz
Großer zu sein.Tobias Wendl und die schönsten Tränen der Olympiade. Die
Siegerehrung im Zweierbob, als Deutsche und Kanadier Hand in Hand aufs
Goldpodest traten. Andreas Wellinger, der, als Olympiasieger im Deutschen Haus
empfangen, als Erstes fragte, wo Laura Dahlmeier sei. Dieses ganze Team
Deutschland, das so sehr wie eine Einheit wirkte. Diese Olympischen Spiele, die
mir so viel Gänsehaut, Freudentränen und Mitfiebern geschenkt haben. Danke. Und jetzt will ich, in Anlehnung an den ARD-Olympiasong, die ganze Welt tanzen sehen.
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