Dabei sein ist alles
Dabei sein ist alles
In der letzten Nacht
wurden die XXXI.sten Olympischen Sommerspiele offiziell für beendet erklärt. Etwas
mehr als zwei Wochen voller sportlicher Höhepunkte waren vorbei. Für mich waren
die Spiele in Rio nach Peking 2008 und London 2012 die dritten olympischen
Sommerspiele, die ich bewusst miterlebt habe. Als großer Sportfan habe ich vor
dem Fernseher und z.T. am Livestream mitgefiebert, habe mitgelitten, -gejubelt
und mich von den Emotionen der Sportler mitreißen lassen. Darum habe ich
beschlossen, hier in diesem Blog meine zehn persönlichen Highlights – in ungeordneter
Reihenfolge – vorzustellen. Dabei geht es nicht nur um sportliche Leistungen.
Ich werde nicht über das Triple-Triple von Usain Bolt schreiben, nicht über die
überragende Leistung des US-amerikanischen Turnstars Simone Biles oder die
Fabel-Weltrekorde von Katie Ledecky. Stattdessen werde ich die Menschen, die
olympischen Momente vorstellen, die mich am meisten bewegt haben – ob Goldmedaillen-Gewinner
oder in der ersten Runde Gescheiterte.
Und hier ist meine kleine Liste:
Und hier ist meine kleine Liste:
Der Tapfere: Andreas Toba
Dem Turner unterlief das
Bitterste, was überhaupt bei Olympischen Spielen passieren kann: im Vorkampf
verletzte er sich schwer. Kreuzbandriss die erschütternde Diagnose. Die meisten
Menschen wären wohl gesenkten Hauptes aus der Halle geschlichen und hätten sich
verkrochen. Toba macht etwas Anderes. Wohl wissend, dass sein Team ohne seinen
Einsatz am Pauschenpferd das Finale verpassen würde, turnt er unter Schmerzen weiter.
"Wir sind eine Familie, da gibt’s kein "kann nicht, will nicht“, da
hält einer für den anderen den Kopf hin“, sagt er. Und diesen Teamgeist hat das
gesamte deutsche Turner-Team in Rio demonstriert. Respekt, Anerkennung und
Trost für Andreas Toba.
Ja, man kann sagen, dass er aus medizinischer Sicht unverantwortlich und leichtsinnig gehandelt hat. Für mich ist Andreas Toba trotzdem einer der bemerkenswertesten und außergewöhnlichsten Athleten der Spiele. Weil er für andere gekämpft hat, obwohl er wusste, dass er selbst nichts mehr gewinnen konnte. Weil er gezeigt hat, wie olympische Werte wie Team- und Kampfgeist vermittelt werden.
Ja, man kann sagen, dass er aus medizinischer Sicht unverantwortlich und leichtsinnig gehandelt hat. Für mich ist Andreas Toba trotzdem einer der bemerkenswertesten und außergewöhnlichsten Athleten der Spiele. Weil er für andere gekämpft hat, obwohl er wusste, dass er selbst nichts mehr gewinnen konnte. Weil er gezeigt hat, wie olympische Werte wie Team- und Kampfgeist vermittelt werden.
Der Bescheidene: Michael Jung
Zwei Goldmedaillen in
London, eine weitere in Rio, ebenso maßgeblich an der silbernen des Teams
beteiligt. Dass Michael Jung ein Ausnahmesportler ist, liegt auf der Hand.
Viele Sportler fangen daraufhin an, große Töne zu spucken, ihre Bodenhaftung zu
verlieren. Nicht so Michael Jung. Bescheiden und freundlich im Interview, sucht
er keine mediale Aufmerksamkeit, sondern konzentriert sich auf seinen
Wettkampf. Er freut sich über seinen Sieg, doch nicht mit übertriebenen Gesten.
Er dankt allen, die ihm zur Seite gestanden haben und lobt sein Pferd. Nein,
Michael Jung ist kein Superstar der Spiele, auch wenn er es aufgrund seiner
Leistungen verdient hätte. Er ist einer der Stillen, Ruhigen, die man in jedem
Team braucht und die oftmals im Auftreten so viel angenehmer sind als die "lauten“
Stars.
Der Geläuterte – Michael Phelps
Okay, jetzt breche ich
mein Versprechen, nicht über Superstars zu schreiben. Aber das ist was anderes.
Ich habe nicht vor, über die Leistungen zu schreiben, die er in Rio erbracht
hat. Stattdessen möchte ich die Geschichte eines Mannes erzählen, der nach
seinem Rücktritt in London vor vier Jahren in ein tiefes Loch fiel.
Alkoholsucht, Ärger mit dem Gesetz, depressive Verstimmungen. Er geriet nahe an
den Abgrund. In Rio sahen wir schließlich einen Phelps, der all dies überwunden
hat. Nach seinem Olympiasieg herzte er seine Frau und seinen Sohn, weinte bei der
Siegerehrung wie ein kleines Kind. Man kann von Phelps halten, was man will.
Ich habe jedoch den Eindruck, dass wir bei den Olympischen Spielen einen Mann
gesehen haben, der zu sich selbst gefunden hat und jetzt mit sich im Reinen
ist.
Der Vollendete – Fabian Hambüchen
Ich weiß noch ganz genau,
von wann meine ersten Erinnerungen an diesen Sportler stammen. 2007, WM in
Stuttgart. Das erste Mal, dass ich bewusst Turnen gesehen habe. Damals war
Fabian Hambüchen noch der kleine "Harry Potter“ mit seiner runden Brille –
und wurde Weltmeister am Reck. Natürlich wollte er ein Jahr später in Peking
auch Olympiasieger werden. Es reichte zu Bronze, in London gab es Silber.
Eigentlich wäre Rio-Gold die logische Konsequenz, meinten Mama und ich halb
schmunzelnd, halb hoffnungsvoll. Doch was Fabian Hambüchen dann am Reck ablieferte,
damit hatten wir nicht gerechnet. Eine quasi fehlerfreie Übung, bis auf einen
klitzekleinen Wackler beim Abgang. Als Erster war er gestartet, sieben
Darbietungen lang musste er zittern, ob das für Gold reicht. Es reichte und
ausgerechnet in seinem allerletzten großen Wettkampf holte er sich den Titel,
den er schon so lange haben wollte, vollendete seine große Karriere. Und beim Anblick seiner überschäumenden
Freude, seiner offenen Emotionen wurde mir vor dem Sofa sitzender Zuschauerin
ganz warm ums Herz.
Die Fairen – Abbey D’Agostino (USA) und Nikki Hamblin
(NZL)
Nein, es ist keine
Schande, wenn ihr diese Athletinnen nicht kennt. Ich kannte sie bis vor wenigen
Tagen auch nicht, und obwohl ich jetzt ihre Namen kenne, kann ich nicht von mir
behaupten, sonderlich viel über sie zu wissen. Was ich aber weiß, ist, dass sie
mit Sportsgeist und Fairness den olympischen Gedanken verkörpern.
Vorlauf über 5000m. Hamblin stürzt, d’Agostino fällt über sie drüber. Während die Amerikanerin direkt wieder aufsteht, bleibt die neuseeländische Athletin zunächst am Boden liegen. Ihre Konkurrentin läuft nicht einfach weiter, sondern geht zu ihr hin, hilft ihr auf. Beide wollen gemeinsam weiterlaufen, doch d’Agostino hat sichtlich Schmerzen und kämpft, das Rennen zu beenden. Hamblin wartet mehrmals auf sie, hilft ihr auf und sie schaffen es tatsächlich beide, ihren Vorlauf zu beenden. Im Ziel fallen sie sich in die Arme.
Für mich sind verkörpern diese Athletinnen die Werte, die Olympia zu vermitteln hofft: "The most important thing in the Olympic Games is not to win but to take part, just as the most important thing in life is not the triumph but the struggle. The essential thing is not to have conquered but to have fought well”. Und das haben sie getan.
Vorlauf über 5000m. Hamblin stürzt, d’Agostino fällt über sie drüber. Während die Amerikanerin direkt wieder aufsteht, bleibt die neuseeländische Athletin zunächst am Boden liegen. Ihre Konkurrentin läuft nicht einfach weiter, sondern geht zu ihr hin, hilft ihr auf. Beide wollen gemeinsam weiterlaufen, doch d’Agostino hat sichtlich Schmerzen und kämpft, das Rennen zu beenden. Hamblin wartet mehrmals auf sie, hilft ihr auf und sie schaffen es tatsächlich beide, ihren Vorlauf zu beenden. Im Ziel fallen sie sich in die Arme.
Für mich sind verkörpern diese Athletinnen die Werte, die Olympia zu vermitteln hofft: "The most important thing in the Olympic Games is not to win but to take part, just as the most important thing in life is not the triumph but the struggle. The essential thing is not to have conquered but to have fought well”. Und das haben sie getan.
Die Entschlossenen – Laura Ludwig und Kira
Walkenhorst
Dies ist eine Geschichte
von zweien, die auszogen, die Beachvolleyball-Welt zu erobern. Von Anfang an
spielten die beiden Weltranglisten-Ersten stark und meldeten früh
Endspiel-Ambitionen an. Vor allem Laura Ludwig träumte nach ihrem
Viertelfinal-Aus in London (damals noch mit einer anderen Partnerin) diesmal
vom Olympiasieg. Leicht wurde es ihr und Kira Walkenhorst nicht gemacht. Noch
gar nie war zuvor ein europäisches Frauenteam Beachvolleyball-Olympiasieger
geworden, im Halbfinale und im Finale spielten sie gegen Duos aus Brasilien und
damit auch gegen die ganze, im Gegensatz zu den anderen Wettbewerben restlos
besetzte Zuschauerriege. Sie haben es geschafft, trotz aller Steine, die ihnen
in den Weg gelegt wurde. In den entscheidenden Momenten wuchsen sie über sich
hinaus. Ein ums andere Mal warf sich Laura Ludwig in den Sand, um einen Ball
noch zu erwischen, den andere längst verloren gegeben hätten. Ein ums andere
Mal blockte Kira Walkenhorst am Netz, unermüdlich. Und den Gegnerinnen blieb nichts
anderes übrig als einzusehen, dass diese beiden diesmal unschlagbar waren. Dass
sie für ihren Traum kämpften, dass sie fest entschlossen waren, diese
Goldmedaille zu gewinnen, dass ihnen aus der Entschlossenheit heraus
Bärenkräfte gewachsen waren. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine Sportlerin
gesehen habe, die bei der Siegerehrung so inbrünstig die Nationalhymne mitsang
wie es Laura Ludwig tat, an diesem frühen Morgen unserer Zeit an der
Copacabana. Sie war am Ziel. Mit der Erfüllung ihres großen Traumes.
Die Überraschung – Monica Puig
Ich hätte lieber über die
Olympiasiegerin Angelique Kerber geschrieben. Alle Vorzeichen sprachen dafür.
Kerber die Nummer zwei der Welt, Siegerin der Australian Open, Finalistin in
Wimbledon. Die Nummer eins der Welt, Serena Williams, überraschend früh
ausgeschieden, Kerber im Finale hoch favorisiert. Doch dann kommt sie. Monica
Puig aus Puerto Rico, Nummer 34 der Welt und in Rio in der Form ihres Lebens.
Laura Siegemund im Viertelfinale keine Chance gelassen, im Halbfinale Petra
Kvitova rausgeworfen. Und auch Kerber findet kein Mittel gegen die bravourös
aufspielende, kämpfende Puig. Nach dem Finale ist sie sichtlich enttäuscht. "Sie
hat das Spiel ihres Lebens gemacht", zollt Kerber der Konkurrentin Respekt.
Auch ich, obwohl ich mit Kerber mitgefiebert und gehofft habe, war beeindruckt
von der wie entfesselt spielenden Puerto Ricanerin, die durch ihren Sieg die
erste Goldmedaille überhaupt für ihr Land geholt hat.
Die Lachenden – Anna und Lisa Hahner
Es hat eine Diskussion
ausgelöst. Die Zwillinge aus Deutschland nehmen am olympischen Marathon teil
und laufen, weit hinter der Spitze, Hand in Hand und jubelnd ins Ziel. Auf
Platz 81 und 82 werden sie aufgeführt. "Unter dem Gesichtspunkt eines sportlichen Wettkampfs ist es nur schwer zu verstehen, dass man händchenhaltend ins Ziel läuft. Das passt nicht zu meinem Bild von einem Wettkampf", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop. Ich habe diese Debatte eher sprachlos mitverfolgt. Ist es mit uns schon so
weit gekommen, dass zwei Schwestern, die lange darum gebangt haben, ob sie
überhaupt gemeinsam starten dürfen, nach 42,195 Kilometern nicht gemeinsam ins
Ziel laufen dürfen? Hätten die beiden sich auf den letzten Metern einen
Endspurt liefern und gegeneinander statt miteinander laufen müssen? Ist es
wirklich so wichtig, ob sie jetzt die Plätze 81 und 82 oder 76 und 78
belegen? Ich für meinen Teil kann diese Frage mit Nein beantworten. Leider
musste ich jedoch beim Blick in die heutige Zeitung feststellen, dass ich damit
offenbar alleine dastehe. Die Olympia-Bilanz beläuft sich darin auf das
Medaillenzählen, die enttäuschenden Schwimmer und Leichtathleten (was aus
meiner Sicht übrigens längst nicht auf alle zutraf) und die Frage, wie es für
den deutschen Sport weitergehen soll.
Ob die Zwillinge die olympischen Spiele zur Selbstvermarktung genutzt haben, wie es ihnen vorgeworfen wird, kann und will ich nicht beurteilen. Mir geht es darum, dass sie ihre olympischen Spiele genossen haben. Gemeinsam. Dass sie gestrahlt haben, weil sie an diesem ganz besonderen Marathon teilnehmen durften. Dabei sein ist schließlich alles.
Ob die Zwillinge die olympischen Spiele zur Selbstvermarktung genutzt haben, wie es ihnen vorgeworfen wird, kann und will ich nicht beurteilen. Mir geht es darum, dass sie ihre olympischen Spiele genossen haben. Gemeinsam. Dass sie gestrahlt haben, weil sie an diesem ganz besonderen Marathon teilnehmen durften. Dabei sein ist schließlich alles.
Der Tröstende – Thiago Braz da Silva
Renaud Lavillenie war
einer der größten Favoriten dieser olympischen Spiele. Der Weltrekordler im
Stabhochsprung wurde jedoch besiegt – und zwar ausgerechnet vom Lokalmatador
Thiago Braz da Silva, der olympischen Rekord sprang. Das Publikum verhielt sich
unfair, pfiff und buhte den Unterlegenen nicht nur im Wettkampf, sondern auch
bei der Siegerehrung aus. Nicht so Thiago Braz. Er verteidigte das Publikum
zwar im Interview mit den Worten, das sei in Brasilien nun mal so, aber dennoch
versuchte er bei der Siegerehrung zunächst seine Landsleute mit Gesten zu
beschwichtigen. Anschließend, in den Katakomben, tröstete er den Kollegen und
zeigte damit, dass er das unfaire Verhalten des Publikums nicht guthieß. In diesem für Lavillenie bitteren Moment sendete sein Konkurrent ihm ein Zeichen der Freundschaft.
Die Kämpferin – Kristina Vogel
Vor einigen Jahren wäre
daran nicht zu denken gewesen. 2009 erlitt Kristina Vogel einen schweren Unfall,
bei dem sie sich einen Brustwirbel und die Handwurzelknochen brach. Eine
Gesichtshälfte blieb teilweise taub. Damals war sie eine vielversprechende
junge Athletin, die sich ihren Weg zurück lange erkämpfen musste, ebenso wie
sie sich vor Gericht lange das ihr zustehende Schmerzensgeld erstreiten musste.
In London wurde sie bereits in Form von Gold im Teamsprint für ihren langen
Kampf belohnt, in Rio folgte die Krönung: Sprint-Olympiasiegerin im Einzel,
obwohl sich auf den letzten Metern ihr Sattel gelöst hatte.
Eine außergewöhnliche Sportlerin, diese Kristina Vogel. So viel Kampfgeist und Entschlossenheit hat mir imponiert und ich bin froh, dass sie dafür in Rio mit der Goldmedaille belohnt wurde.
Eine außergewöhnliche Sportlerin, diese Kristina Vogel. So viel Kampfgeist und Entschlossenheit hat mir imponiert und ich bin froh, dass sie dafür in Rio mit der Goldmedaille belohnt wurde.
Das war jetzt meine
kleine, subjektive Liste an Sportlern, die mich während dieser olympischen
Spiel beeindruckt haben. Man hätte sie noch endlos lange fortsetzen können.
Trotz der Kehrseite der Medaille, der Schattenseiten der Spiele, habe ich diese
zwei Wochen Olympia wirklich genossen und gerne zugesehen, mitgefiebert und
-gebangt.
Ich freue mich schon auf die nächsten Olympischen Spiele!
Fotos: all-free-download.com; nbcnews.com; promiflash.de; oglobo.globo.com
Ich freue mich schon auf die nächsten Olympischen Spiele!
Fotos: all-free-download.com; nbcnews.com; promiflash.de; oglobo.globo.com
Sport ist eigentlich nicht so mein Thema – lieber mache ich Sport selber, als anderen zuzuschauen. Ich wollte eigentlich nur kurz drüberlesen und schnell das Fenster wieder schließen. Aber du hast mir eine andere Seite von Olympia gezeigt, die Menschen hinter dem Sport, den Olympischen Gedanke mit konkreten Beispielen treffend beschrieben. Hab ich gerne gelesen – ich freu mich schon auf deinen nächsten Olympia-Bericht :D
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