Therapietagebuch


Ich drehe mich im Kreis

Heute Morgen war ich wieder einmal bei meiner Therapeutin und wieder einmal halte ich es für sinnvoll, diese 50 Minuten auf diesem Kanal aufzuarbeiten.
Ich war wie üblich direkt nach der Therapiestunde sehr aufgewühlt und die Gedanken schwirrten vollkommen ungeordnet durch meinen Kopf. Jetzt möchte ich versuchen, sie zu sortieren.

Als ich heute Morgen bei meiner Therapeutin ankam, hatte ich keine Ahnung, worüber wir sprechen würden. Mein Studium nimmt mich momentan so sehr in Anspruch, dass ich mir keine Gedanken über ein Thema gemacht hatte. (Wer mich kennt, weiß, dass es bei mir seit jeher so war, dass meine ersten Gedanken den zu erledigenden Aufgaben galten und ich mir für mich selbst wenig bis keine Zeit nehme.) Die Stunde sollte zeigen, dass diesmal keine Vorbereitung nötig sein würde.
Vielleicht war es sogar gut, dass ich so unvorbereitet war. Mir sind heute einige Dinge herausgerutscht, die ich nicht geplant hatte zu sagen. Die ich meiner Therapeutin noch nie anvertraut habe, weil mir der Mut fehlte, diese Dinge ihr wie auch mir selbst gegenüber einzugestehen.
Das Gute daran: Ich war ehrlich. Ich war, vielleicht zum ersten Mal seit langem, zu hundert Prozent ehrlich und habe – das ist neu daran – auch nichts verschwiegen. Ich habe offen zugegeben, dass ich, wäre ich Außenstehende, auch nicht mit mir befreundet sein wollte. Ich habe mir eingestanden, dass ich oft davon träume, anders zu sein als ich bin. Beliebter, offener, lockerer, talentierter (vor allem im Umgang mit Menschen).

Meine Therapeutin hält mich nicht für unbegabt im Umgang mit anderen. Sie meint, dass ich zwar weniger Bindungen zu Menschen eingehe als Gleichaltrige, aber dass diese Bindungen dafür tiefer gehen und von viel Vertrauen beiderseits geprägt sind. Sie hat nicht unrecht, aber ich halte ihr entgegen, dass es extrem schwer ist, derart tiefe Bindungen einzugehen. Denn nicht nur ich muss die andere Person schätzen und ihr Vertrauen, sondern es muss auch umgekehrt sein. Und – ich wiederhole mich, ich weiß – für mich ist es unvorstellbar, dass jemand mich tatsächlich mag. Es gibt nun mal wenige Menschen, die ich nahe genug an mich heranlasse, um so eine Bindung einzugehen und ebenso wenige, die auch zu mir ein enges Vertrauensverhältnis aufbauen wollen. Und an dieser Stelle drehe ich mich im Kreis. Ich sehne mich nach Freundschaft, nach mehr echten Beziehungen zu anderen Menschen und erwarte gleichzeitig von anderen, dass sie genau das von mir nicht wollen. Es ist leicht, mir jetzt zu sagen, dass dieser Eindruck falsch ist, aber unheimlich schwierig bis unmöglich, mich tatsächlich davon zu überzeugen.

Zum ersten Mal habe ich heute auch ausgesprochen, dass die Erwartungen, die ich an meine Zukunft habe, nicht nur etwas Positives sind. Für den Moment schon, aber auf lange Sicht erzeugen sie Ängste. Was ist, wenn meine Zukunft nicht so ablaufen wird, wie ich es mir vorstelle? (Ehrlich gesagt wäre es das erste Mal in meinem Leben, wenn sie tatsächlich nach meinen Wünschen und Vorstellungen verlaufen würde.) Ich weiß, dass ich auch an mir selber arbeiten muss, wenn ich diese Hoffnungen wahr werden lassen will. Ich muss offener werden, mehr unter Menschen kommen. Und da drehe ich mich wieder im Kreis. Wenn ich mich öffne und verletzt werde (das ist leider oft genug passiert), sorgt das dafür, dass ich mich auf lange Sicht noch mehr zurückziehe. Und wenn ich mich zurückziehe, dann fällt es mir immer schwerer, auch nur das kleinste bisschen von mir preiszugeben. Ich stecke fest.

Dann erzählt meine Therapeutin mir etwas. Es bedeutet mir sehr viel, dass sie das zu mir gesagt hat. Sie erklärt, dass viele Therapeuten ihren Patienten ähnlicher sind als diese wissen. Sie verrät mir, dass sie meine Probleme mit dem sich Öffnen, mit der Mauer, die ich zwischen mir und meinen Mitmenschen errichte, mit dem Rückzug in das eigene Schneckenhaus aus eigenem Erleben und Erfahren kennt. Und sie bekräftigt, dass ich mich für nichts schämen muss. Dass das Leben kein Wettbewerb ist, wer die meisten Freunde hat. Dass ich meine Gedanken und Gefühle so gut ausdrücken kann, dass sie wirklich versteht, warum ich sie habe.

Sie bittet mich um Geduld. Um Nachsicht mit mir selbst und meinem Leben. Doch ich will nicht mehr warten. Ich hoffe schon mein ganzes Leben lang darauf, dass es besser wird. Bislang habe ich immer nur kurzfristige Höhenflüge erleben dürfen und bin umso härter auf den Boden der Tatsachen geknallt. Gleichzeitig weiß ich, dass es selbst in den dunkelsten Phasen Lichtblicke gibt. Denn ich habe ja die paar wenigen Menschen, die wirklich und wahrhaftig mit mir befreundet sein wollen, warum auch immer. Und dieses Beispiel führt mir vor Augen, dass selbst Dinge, die unmöglich erscheinen, wahr werden können.

Ich werde es weiter probieren. Immer und immer wieder. Ich gebe nicht auf!

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