Innere Zerrissenheit
Zwei Seelen wohnen in meiner Brust
Vor längerer Zeit schon habe
ich beschlossen, mehr ich selbst zu sein. Mich nicht zu verstellen, zu meinen
Schwächen zu stehen und stolz auf den Menschen zu sein, der ich bin.
Es lässt sich jedoch
absolut nicht umsetzen.
Erstens ist es für mich
schlichtweg unmöglich, stolz auf mich zu sein. Damit habe ich mich mittlerweile
abgefunden. Aber es gibt noch ein zweitens. Und das ist die Frage, ob ich
selbst überhaupt weiß, was es bedeutet, ich zu sein.
Denn es gibt viele Tage,
an denen ich das Gefühl habe, dass ich genau davon keine Ahnung habe. Dass ich noch nach
meinem wahren Ich suche. Es gab eine Zeit, da dachte ich, es geschafft zu
haben. Es gab eine Zeit, da fühlte ich mich angekommen. Ich war es aber nicht.
In erster Linie ist es
ein ganz bestimmter innerer Konflikt, der sich in mir abspielt. Der Konflikt
zwischen dem Kind, das ich einmal war und der jungen Frau, die ich geworden
bin. An manchen Tagen weiß ich gar nicht, was von beidem ich nun eigentlich
bin. Ja, ich habe noch ziemlich viel mit meiner Familie zu tun, fühle mich deshalb
oft wie ein Kind. Ich wohne immer noch im Haus meiner Eltern und fühle mich
Kommilitonen gegenüber oft deshalb unselbstständig. Andererseits: Ich bin mittlerweile
Studentin. Alles, was mit meinem täglichen Leben zu tun hat, regle ich selber
und Verantwortung übernehme ich ja sowieso schon seit Jahren.
Was bin ich also, Kind
oder Erwachsene? Mädchen oder Frau? Wer bin ich? Zwei Seelen wohnen in meiner
Brust. Da ist immer noch die Fünfjährige, die am liebsten in Bullerbü oder auf
Birkenlund leben würde und deren größter Traum es ist, richtig Geige spielen zu
lernen. Da ist die Achtjährige, die ihre ersten Geschichten schreibt, an Jugend
musiziert teilnimmt und darüber nachdenkt, auf welches Gymnasium sie gehen
will. Da ist die Zwölfjährige, die langsam ernsthaft darüber nachdenkt, was sie
eigentlich will. Die anfängt, Anerkennung für das einzufordern, was sie tut und
dadurch in diesen Strudel aus viel zu überzogenen Erwartungen gerät. Da ist die
Fünfzehnjährige. Weniger unschuldig als zuvor, nach außen hin glücklicher denn
je, innerlich aber einsam. Da ist die Abiturientin, verzweifelt, gestresst,
aufgeregt, später dann glücklich, unbeschwert und scheinbar angekommen. Und
dann ist da die Studentin, die mehr zweifelt als je zuvor. Die endgültig in dieses
schwarze Loch abstürzt. Ich habe das Gefühl, alle Personen, die ich jemals
gewesen bin, stecken irgendwie noch in mir drin. Auch wenn ich heute nicht mehr
so bin wie früher, so ist doch dieses kleine schüchterne Mädchen nicht
verschwunden. Und ich glaube, solange ich mich von dem Kind in mir nicht trennen kann,
werde ich auch nicht vollständig erwachsen.
Vielleicht liegt es an
meiner Vergangenheit. Ich kann sie nur dann hinter mir lassen, wenn ich sie
aufarbeite. Vielleicht brauche ich mehr neue Menschen in meinem Leben. Solange
ich zu sehr an den altbekannten Gesichtern hänge, lässt mich dieses frühere Ich
nicht los.
Ich weiß nicht, wo das
hinführt. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird. Ob ich das
Gefühl, ein Kind zu sein, jemals loswerde oder ob es sich irgendwann mal richtig
anfühlt, mein inneres Kind bewahrt zu haben. Das Einzige, was ich weiß,
ist, dass ich mich weiterhin verändern muss. Ich muss etwas ändern, um
irgendetwas in meinem Leben zu verbessern. Das ist nicht leicht und vielleicht
bin ich nie am Ziel. Vielleicht macht mir diese innere Zerrissenheit zwischen Kind
und junger Frau weiterhin das Leben schwer. Vielleicht kann ich auch mein
inneres Kind nicht loslassen, weil als Kind irgendwie alles leichter ist. Weil
ich mich zum Erwachsensein überhaupt nicht bereit fühle.
Aber wann hat man denn
schon eine Wahl? Die Zeit vergeht. Unbarmherzig schnell. Viel zu schnell. Mir
wird schwindelig davon. Doch ich kann sie nicht anhalten.
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