Gedächtnis und Glück


Fluch oder Segen? Vom Gedächtnis und Glücklich Sein

Dieser Text handelt von meinem Gedächtnis. Probleme damit habe ich schon seit Jahren. Aber nicht, weil es so schlecht wäre. Nein, ich habe kein Gedächtnis wie ein Sieb. Eher das Gegenteil, und genau das ist mein Problem.

Mein Gedächtnis ist nicht perfekt. Vieles, das ich in der Schule gelernt habe (insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern) hat es längst gelöscht. Ich kann mir Namen meist sofort merken, mit Gesichtern brauche ich etwas länger. Aber bei einer Sache hat mich mein Gedächtnis noch nie im Stich gelassen: Ich kann Situationen, die ich einmal erlebt habe, im Detail rekonstruieren. Während meiner Schulzeit habe ich mal eine Mitschülerin damit erstaunt, dass ich mich nicht nur daran erinnert habe, was sie mir eine Woche zuvor erzählt hatte. Ich konnte ihr sogar noch genau sagen, wann und wo wir darüber gesprochen hatten.

Das ist jetzt ein harmloses Beispiel. Eines, das mir bei meinen Mitmenschen häufig sogar Pluspunkte einbringt, weil es ihnen das Gefühl gibt, dass sie wichtig sind. Sie merken, dass ich zuhöre, was sie mir zu sagen haben und finden es gut, dass ich das Gesagte auch ein paar Tage später nicht vergessen habe. Wenn ich jemanden nicht gut kenne, kann diese Fähigkeit sicherlich auch etwas einschüchternd wirken. Aber nahezu Fremden binde ich auch nicht unbedingt auf die Nase, wie mein Gedächtnis funktioniert und wie genau ich mich an einzelne Situationen erinnern kann.

Ja, im Umgang mit anderen Menschen ist mein Gedächtnis eher hilfreich als hinderlich. Nur mir selbst bereite ich damit immer und immer wieder Probleme. Weil ich eben nicht nur Gespräche mit anderen oder positive Situationen rekonstruiere, sondern mir auch jede Demütigung, jede Beleidigung und jedes peinliche Erlebnis im Gedächtnis bleibt. Und wenn ich sage, etwas bleibt im Gedächtnis, dann meine ich, dass es kleben bleibt. Dass das Geschehene mich verfolgt, teils bis in den Schlaf, und mir dann Albträume bereitet. Dass ähnliche Situationen oder das gleiche Umfeld bei mir Panikattacken auslösen können. Dass ich mich Jahre später noch an jedes einzelne Detail erinnern kann.
Man nehme all das und paare es mit der Tatsache, dass ich sensibel bin und schon eine unbedachte, nicht böse gemeinte Bemerkung mich leicht verletzen kann. Ihr ahnt es: Das kann nicht gut gehen. Daraus kann kein glückliches Leben entstehen.

Ich habe heute Morgen auf Twitter gepostet, wie traurig es mich macht, dass so viele Menschen denken, man könne sich für sein Glück entscheiden. Es ist nicht so leicht. Oft entscheidet das Leben für uns, die Umstände. Glück ist keine Entscheidung, die man einfach so treffen kann. Und so etwas zu behaupten, ist eine Erniedrigung, ja sogar eine schwere Beleidigung für diejenigen, die mit ihrem Leben kämpfen. Überlegt Euch einfach mal, ob Ihr zu bettelnden Kindern in einem Slum sagen würdet, dass sie sich einfach für ihr Glück entscheiden müssen. Ob Ihr unheilbar an Krebs Erkrankten dasselbe sagen würdet.
Wenn Ihr diese Fragen mit Ja beantwortet, dann braucht Ihr nicht weiterzulesen. Dann ist jeder Satz, den ich jetzt noch schreibe, ohnehin sinnlos.

Denn worauf ich hinaus möchte: Bei körperlich kranken Menschen, bei denjenigen, die mit Armut und Elend kämpfen, scheint akzeptiert zu werden, dass sie nicht glücklich sind. Aber was ist mit allen, deren Seele leidet? Es gibt viele, sehr viele Menschen auf diesem Planeten, die keine gesunde Psyche haben. Oft sind es diejenigen, denen man es nicht zutraut. Meistens leiden sie im Stillen, ohne ihre Frustration, Verzweiflung oder jedes andere wie auch immer geartete Gefühl über ihr Leben herauszuschreien. Und stellvertretend für sie alle sage ich heute: Nichts tut mehr weh als zu hören, dass man selbst an seiner Misere schuld sei. Nichts ist verletzender als die Erwartung (oder soll ich sagen, der Vorwurf?), dass man sich nur zusammenreißen müsse.

Nein, ich wünsche niemandem, dieses Gefühl zu kennen, das oft über mich kommt. Niemand muss verstehen (im Sinne von aus eigener Erfahrung wissen), wie sich das anfühlt. Ich möchte lediglich, dass Verständnis für mich aufgebracht wird. Nicht im Sinne von nachfühlen können, sondern lediglich eine Akzeptanz dafür, dass es mir so geht. Gebt allen, die leiden, das Gefühl, dass dieses Leid erlaubt ist. Hört auf, uns das Gefühl zu geben, dass wir nicht normal sind, weil wir leiden. Wer ist schon normal, sind wir nicht alle individuell und auf unsere eigene Art und Weise besonders?

Ich glaube, wir sind es. Jeder hat ein eigenes Empfinden, ein selbstständiges Gefühlsleben. Jeder empfindet Glück und Unglück anders. Und viele von uns empfinden Glück (und auch Zufriedenheit) nur sehr selten. Das sollte okay sein. Niemand muss sich für das schämen, was er oder sie fühlt. Leider weiß ich aus eigener Erfahrung, dass viele Menschen es trotzdem tun.

Dieser Text sollte eigentlich von meinem Gedächtnis handeln. Jetzt ist er etwas in eine andere Richtung abgedriftet. Das ist auch in Ordnung, denn dieser Blog hat keinerlei journalistischen Anspruch. Ich muss meine Posts nicht fein säuberlich strukturieren und alles, was nicht zum Thema passt, aussortieren. Es ist einfach nur ein Text, den ich während einer langen Mittagspause in der Mensa der Universität schreibe. Und den ich mit euch teilen möchte.

Ach ja, und für alle, die den Faden verloren haben, kommt hier all das, was ich mit diesem Text sagen möchte, in Kurzform: Glücklich sein ist verdammt schwer, wenn jede negative Erfahrung, die man je gemacht hat, noch Jahre später im eigenen Gedächtnis feststeckt und man sie immer und immer wieder durchleben muss. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das eigentliche Problem liegt tiefer, irgendwo in meiner Seele, schätze ich.
Foto: pixteller.com
 

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