Von Fehlern und Perfektionismus
Von der Schwierigkeit, ich zu sein
Seid Ihr
perfektionistisch? Ist es Euer Anspruch, immer alles fehlerfrei und makellos zu
machen? Strebt Ihr nach Vollkommenheit?
Wenn ja – willkommen im Club. Wenn nicht – Ihr Glücklichen!!
Wenn ja – willkommen im Club. Wenn nicht – Ihr Glücklichen!!
Meinen Perfektionismus
empfinde ich selbst immer als unglaublich lästig. Ich lasse keine Fehler zu und
hasse es, wenn sich doch welche einschleichen. Ich will zu viel und kann daran
eigentlich nur scheitern.
Erst letzten Montagabend
geriet ich in eine Situation, in der mich das Fehler-Kopfkino wieder mal mit
voller Wucht einholte. Eine Kommilitonin schrieb mir vor der gemeinsamen
Präsentation am Dienstag noch um 22 Uhr eine WhatsApp, ob sie denn meine
PowerPoint-Folien noch bearbeiten dürfe. Es sei zu viel Text drauf. Erster
Gedanke, der mich den Rest des Abends nicht mehr losließ: Oh je. Alles falsch
gemacht, jetzt hat sie meinetwegen unnötig Arbeit und das spät abends. Wenn ich
etwas mehr hasse als Fehler zu machen, dann ist es Fehler zu machen, die nicht
nur mir, sondern auch meinen Mitmenschen schaden. Ich habe angefangen, alles in
Frage zu stellen, an diesem Montagabend. Ist das, was ich erarbeitet habe,
überhaupt inhaltlich korrekt? Oder sagt uns der "knallharte" Prof nach der
Präsentation klipp und klar, dass er sich das ganz anders vorgestellt hatte?
Am Dienstag dann, nachdem
die Präsentation ohne unangenehme Zwischenfälle abgelaufen war, fing ich an
nachzudenken. Hatte ich wirklich alles falsch gemacht? Meiner Kommilitonin zu
später Stunde noch so viel Arbeit beschert? Und im Nachhinein, mit klarem Kopf,
kam ich zu der Antwort: Nein, hatte ich nicht. Auf meinen Folien hatten jeweils
drei bis vier Stichpunkte gestanden, bestehend aus wenigen Wörtern. Ihr mag das
zu viel gewesen sein, aber überladen und unlesbar wirkten diese Folien sicher
nicht. Davon abgesehen hatte ich ihr die Folien bereits am Samstag geschickt.
Sie hatte sie bereits seit mehr als 48 Stunden und niemand hatte sie gezwungen,
zu dieser Uhrzeit noch damit anzufangen Änderungen vorzunehmen. So einfach ist
das.
Ja, so einfach ist das,
aber es ist auch so charakteristisch für mich, sich darum Gedanken zu machen.
Ich stelle hohe Ansprüche an mich selbst, will alles richtig machen. Vor allem,
weil ich weiß, dass man das von mir mittlerweile erwartet. Und weil mir mein
Leben lang das Gefühl gegeben wurde: Du bist gut, wenn Du alles richtig machst.
Dann bekommst Du Anerkennung, Lob, wirst gemocht. Und genau das ist die Crux an
der Sache. Dass ich mich abstrampele, um alles perfekt zu machen. Dass ich
gefangen bin in meinem Denken, meine Mitmenschen zu enttäuschen, wenn ich einen
Fehler mache. Oder auch nur irgendetwas, das nicht von mir erwartet wird.
Dadurch laufe ich Gefahr, meine Eigenständigkeit zu verlieren. Nur noch nach
der Pfeife der Anderen zu tanzen und meine eigene Meinung, meine eigenen
Ansichten zu verleugnen.
Bei manchen Dingen fällt
es mir leicht, diese Eigenständigkeit zu bewahren. Ich rege mich beispielsweise
viel zu oft über Fußball und Politik auf. Manch andere Themen sind dagegen
ziemlich schwer. Im Familienkreis wird automatisch davon ausgegangen, dass ich keinen Alkohol trinke. Was keiner weiß: Wenn ich mit
Freunden unterwegs oder auf einer guten Party bin, dann trinke ich auch mal
was. Aber sobald Menschen anwesend sind, die mich nach wie vor wie ein Kind
behandeln, von denen mir keiner je etwas Stärkeres angeboten hat als Saft und,
vor allem, von denen keiner erwartet, dass ich etwas trinke… Ja. Ihr wisst
schon. Es gibt so Einiges in dieser Familie, bei dem die allgemein gültige
Meinung herrscht, dass "man" so etwas nicht macht. Obwohl ich achtzehn Jahre alt bin und es mir keiner verbieten kann. Aber ich bin feige. Mir
fehlt die Entschlossenheit, gegen den Strom zu schwimmen. Weniger, weil mir
meine Werte oder die mir zustehenden Freiheiten nicht wichtig wären, sondern vielmehr, weil es als
perfektionistischer Mensch unglaublich hart ist, Dinge einzugestehen, die
Andere als Fehler einstufen könnten. Weil ich die brave Tochter/Schwester/Enkelin/Nichte/Großnichte
(und was es noch so alles gibt in meinem großen, Glück vorgaukelnden
Familienkreis) sein soll. Weil ich mich nicht traue, dieses Bild von der
perfekten Tochter (und so weiter), von der braven Studentin, dem fleißigen
Mädchen zu zerstören. Weil mich meine Familie leider immer noch als Kind sieht.
Und weil ich Angst bekomme, dass sie mich alle nicht mehr lieb haben, wenn ich
Dinge tue, die sie nicht gutheißen. Obwohl mir mein Verstand sagt, dass das Unfug ist und Menschen, die mich mögen, nicht damit aufhören werden, nur weil ich mal einen Fehler mache.
Ja, so ist es. Ganz genau
so. Ich befinde mich in einem Kreislauf, in dem ich gerne gegen den Strom
schwimmen würde. Aber ich traue mich nicht, weil ich weiß, dass Menschen
zusehen. Andere Menschen als die wenigen, denen ich erlaube, meine Schwächen zu
sehen. Andere Menschen als die wenigen, die mich aufgrund meiner Fehler nicht
verurteilen.
Es ist nicht leicht, ich
zu sein.
Foto: fromwhaticantell.com
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