Therapietagebuch
Therapietagebuch – Eine Klimax der
Traurigkeit
Auf die Frage "Wie geht es Dir?" mit einem ehrlichen "nicht gut" antworten. #wasfehlt
Svenja (@SvennieC_ee24) auf Twitter.
Es war für mich eine
enorme Überwindung, eine Therapie zu beginnen. Doch in diesem Sommer, kurz
bevor meine Schwester von ihrem Auslandsjahr zurückkam (als die Angst davor,
wie sie auf die Trennung unserer Eltern reagieren würde, übermächtig wurde)
habe ich mich selbst dafür entschieden. Auch nur, weil es in unserem Ort eine
Therapeutin gibt, die ich kenne. An die mich mein Kinderarzt schon zu
Grundschulzeiten verwiesen hatte, weil ich damals mit Schlafstörungen und
Albträumen zu kämpfen hatte. Damals haben wir wenig über mich gesprochen.
Vielmehr habe ich gespielt, konnte Kind sein. Aus diesen Spielen hat sie, wie
sie mir nun sagte, unglaublich viel über meine Persönlichkeit, mein Inneres
herausgelesen. Zum Teil Dinge, die erst Jahre später deutlich wurden. Die ich
damals noch gar nicht wahrgenommen habe, die sich lediglich in meinem
Unterbewusstsein abspielten.
Ich müsste lügen, würde
ich behaupten, dass es mir Freude bereitet zur Therapeutin zu gehen oder dass
ich gerne über mein Innerstes sprechen würde. Im Gegenteil, ich spreche äußerst
ungern über mich. Aber heute war es tatsächlich so, dass ich die Therapiestunde
kaum erwarten konnte, weil in mir drinnen so viel wütete und es unheimlich
schwer war, dies unter Verschluss zu halten.
Dort angekommen, brach
alles aus mir heraus. Wie mein Gefühlszustand in den letzten Tagen immer
schlimmer wurde. Wie der Tod meiner früheren Schulfreundin (hier nachzulesen)
mir zugesetzt und mich beschäftigt hat. Dass ich in den letzten drei Nächten
zusammengerechnet vielleicht zehn bis zwölf Stunden geschlafen habe. Dass gegen
meine Kopfschmerzen kein Aspirin hilft. Dass ich Angst habe, dass es gar nie
mehr besser wird. Dass ich in den letzten Tagen eine Klimax der Traurigkeit
erlebt habe. Auch wenn diese Bezeichnung eigentlich paradox ist, denn Klimax bedeutet
Steigerung und mein Gemütszustand bewegte sich pausenlos nach unten, nicht nach
oben. Und wenn ich mich so fühle wie in den letzten Tagen, bin ich genauso
wenig in der Lage positive Gefühle zu entwickeln wie jemand mit einem
gebrochenen Bein einen 100m-Sprint absolvieren kann: gar nicht.
Sie hörte zu. Stellte
Fragen. Sie war sichtlich besorgt. Und ich begann schon wieder mich zu schämen.
Zu schämen dafür, dass ich so sehr "jammerte". Dass ich so schwach war. Sie
empfand es nicht als Jammern, und nicht als Schwäche. Das sagte sie mir. Es sei
ungewohnt für mich, das alles wirklich rauszulassen. Weil ich nun mal zum
Bagatellisieren, zum Abschwächen neige. In erster Linie, weil ich die Menschen
um mich herum beschützen möchte (hallo Verantwortungsgefühl! Dich werde ich
wohl nicht mehr los) und sie daher nicht mit meinen Sorgen belaste.
Mittlerweile öffne ich mich weit genug, um meine engsten Vertrauten wissen zu
lassen, dass es mir nicht gut geht. Aber niemand, der mich persönlich kennt,
weiß, dass es nicht nur eine anstrengende, schwierige Phase ist. Sondern ein
tiefes schwarzes Loch, bei dem ich Angst habe, nicht mehr herauszukommen.
Es gibt noch mehr, vor dem
ich Angst habe. Ich fürchte mich davor, eine Diagnose gestellt zu bekommen. Ich
ertrage den Gedanken nicht, dass mir ein ernsthaftes psychisches "Problem"
(unpassendes Wort, aber ein passendes kenne ich nicht) schwarz auf weiß bescheinigt werden könnte.
Weil es bei mir das Gefühl erzeugt, als würde mich mein Umfeld dann als "gestört"
abstempeln. Aus demselben Grund will ich auf gar keinen Fall regelmäßig
Medikamente einnehmen. Nein, ich will kein Mitleid. Ich möchte noch nicht
einmal verstanden werden. Es reicht mir, wenn Menschen Verständnis aufbringen.
Oft, sehr oft habe ich jedoch das Gefühl, das tun sie nicht. Mir ist klar, dass
mein Bagatellisieren dazu führt, dass mir die typischen "Allheilmittel" (mehr
Schlaf, frische Luft, etwas Essen) empfohlen werden, die ich a) nicht mehr
hören kann und die mir b) das Gefühl geben, nicht ernst genommen zu werden.
Eine Diagnose oder
Medikamente – für mich hätte es etwas Endgültiges. Egal, ob ich tief drinnen
schon weiß, dass meine Psyche nicht nur temporär, sondern dauerhaft stark
belastet ist: Solange ich funktioniere, kann ich es noch leugnen. Ich mag den
Gedanken nicht, meine Gefühle durch Medikamente zu "unterdrücken". Auch wenn
ich weiß, dass sie mir nicht guttun. Ich möchte, ich muss fühlen, um zu wissen,
dass ich lebendig bin. Psychopharmaka verkörpern für mich irgendwie den "letzten
Ausweg". Und ich möchte jetzt noch nicht den aus meiner Sicht letzten Schritt
wagen. Ich bilde mir ein, dass, solange meine Hoffnung von der besseren Zukunft
da ist, solange ich kämpfe, meinem Leben eine Chance gebe, es nicht nötig ist.
Dass ich noch aushalten kann. Ich verweise darauf, dass ich nach außen hin
funktioniere. Solange nicht die akute Gefahr besteht, dass ich zusammenbreche,
kann ich doch noch einfach so weitermachen?
Meine Gedanken kreisen,
einmal mehr. Meine Selbstabwertung. Meine Selbstverachtung. Meine Traurigkeit,
die ich vielleicht lieber als Schwermut bezeichnen sollte. Meine Angst. Ja,
meine fürchterliche Angst vor all dem Menschen, die diesen Text hier lesen. In
erster Linie befürchte ich, dass jemand, der mich im realen Leben kennt, diese
Zeilen liest. Es würde das Bild, das derjenige von mir hat, komplett auf den
Kopf stellen. Gleichzeitig würde es mich mit dem konfrontieren, was ich bislang
gut unter Verschluss gehalten habe. Es würde das tägliche Schau- und
Versteckspiel unmöglich machen. Ich habe auch Angst vor allen Lesern dieses
Textes, die mich nicht persönlich kennen. Weil das eine Seite von mir ist, die
ich bislang nie gezeigt habe. Nicht im Blog, nicht auf Twitter, nirgendwo. Ich
habe Angst davor, dass sich Menschen ein Bild machen, mich in eine Schublade
stopfen. Dass es keiner versteht beziehungsweise niemand Verständnis für mich
aufbringen kann. Dass mir wieder vorgehalten wird, dass es so viel Schlimmeres
gibt als mein Leben. Aber andererseits – könnte mir irgendjemand etwas
vorwerfen, dessen ich mich nicht schon selbst beschuldigt habe?
Es ist schwer, diese
Zeilen zu schreiben. Nahezu unvorstellbar, dass sie von Menschen tatsächlich gelesen werden können. Gleichzeitig ist es auch befreiend, ehrlich zu
sein. Obwohl es wahnsinnig viel Überwindung kosten wird, auf "veröffentlichen"
zu klicken.
Aber ich probiere es.
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