Ein neuer Anfang


Ein neuer Anfang

Viel Zeit ist vergangen, seit ich zuletzt etwas gebloggt habe. Viel Zeit, in der eher wenig passiert ist. Das Leben plätscherte ohne größere Zwischenfälle vor sich hin. Das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen allerdings blitzschnell ändern.
Ja, richtig geraten. Mein Studium fängt an.
Seit ich letzten Sommer mit meinem Abiturzeugnis in die neue Freiheit entlassen wurde, befand ich mich in einer Art "Zwischen-Zustand". Schülerin war ich nicht mehr. Studentin war ich noch nicht. Das hat mich zwar nicht besonders gestört, aber jetzt merke ich doch, dass es sich gut anfühlt, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen.
Und da schrillen bei mir alle Alarmglocken.
Um zu wissen warum, muss man meine Geschichte kennen. Die Geschichte, dass es mir jahrelang darum ging, in Gruppen, denen ich zugehörig war, nicht aufzufallen. Keine Angriffsfläche zu bieten. Einfach nur mitlaufen schien mir lieber zu sein als mich von anderen abzuheben und damit möglicherweise anzuecken. Andere Menschen sollen bloß nichts Negatives von mir denken.
Eigentlich halte ich mich für einen recht intelligenten Menschen. In dieser Hinsicht war ich jedoch jahrelang – man kann es nicht anders sagen – einfach nur dumm. Warum ist mir nie aufgefallen, dass die Tatsache, dass niemand schlecht von mir denkt zwangsläufig damit verbunden ist, dass auch niemand positive Gedanken über mich hat? Niemand konnte feststellen, den gleichen Musikgeschmack, einen ähnlichen Humor wie ich zu haben, wenn ich nie darüber sprach. Weil ich Angst hatte, dass auf den Dingen, die mir am Herzen lagen, herumgetrampelt werden würde, sobald ich sie preisgab.
Bis mir genau das eines Tages bewusst wurde und ich begriff, dass ich lieber neben ein paar echten Freunden auch Menschen ertrage, die ich nicht riechen kann als zu der ganzen Welt ein neutrales, freundliches, aber nicht enges Verhältnis zu haben.
Im Vergleich zu vor drei Jahren habe ich mich dermaßen verändert, ich kann gar nicht sagen, wie sehr. Nur eine Sache ist gleich geblieben: die lästige Einstellung, sich in ungewohnten, neuen Situationen in alte Gewohnheiten zurückzuflüchten, auch wenn sie mir nicht guttun. Zu diesen Situationen gehört selbstverständlich auch mein Studienbeginn. Das Studium verbinde ich mit Selbstbestimmtheit, Selbstständigkeit und eigenen Entscheidungen. Im Gegensatz zu meiner Schulzeit wird mir keiner mehr sagen, was ich machen soll. Ich kann mein Leben in die eigenen Hände nehmen. Und ich habe beschlossen, dass ich mein Verhalten – oder soll ich sagen, meine "Taktik"? – aus der Schulzeit nicht wiederholen möchte. Ich werde mich nicht länger hinter einer Fassade verstecken, möchte nicht mehr eine von vielen sein. Sondern einfach nur ich selbst. Ich rechne nicht damit, dass jeder Kommilitone, jede Kommilitonin im Studium mit mir auf einer Wellenlänge liegt. Aber es wäre schade um die Menschen, die Freundschaften, die mir entgehen würden, wenn ich die Rolle einer Mitläuferin einnähme.
Das Leben ist keine Straße, die immer nur gerade verläuft. Es gibt Biegungen und Kreuzungen, an denen man abbiegen muss. Und wenn wir vor einer großen Kreuzung stehen, müssen wir uns entscheiden – zwischen einer großen geraden Straße und einem kleinen, mit Steinen gepflasterten Weg, der viele Windungen und Kurven in sich hat. Die Verlockung ist groß, auf der geraden Straße weiterzuwandern. Bis wir merken, dass sie uns von unseren Zielen, unseren Erwartungen, vielleicht auch von uns selbst immer weiter entfernt. Manchmal muss man den schwierigen Weg wählen, um ans Ziel zu kommen. Man muss Tränen weinen, laut schreien, mit der Faust auf den Tisch hauen.
Der leichte Weg scheint nur auf den ersten Blick der leichtere zu sein. Langfristig löst er eine tiefe innere Traurigkeit in uns aus. Eine, die wir nicht zulassen, sondern immer wieder runterschlucken – und an der wir letzten Endes kaputtgehen.
Nächste Woche biege ich ab auf der Straße meines Lebens. Ich kann noch nicht um die Kurve linsen, aber bald wird es so weit sein. Dann beginnt etwas Neues, Großes. Ein Lebensabschnitt, der mehrere Jahre meines Lebens im Mittelpunkt desselben stehen wird. Ein neuer Anfang, etwas, das ich bislang noch nicht kannte. Ja, es gehört Mut dazu, echt und unverstellt auf Andere zuzugehen. Aber gleichzeitig wohnt jedem Anfang auch ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben*. Und vielleicht werde ich ihn spüren, den Zauber. Vielleicht kann ich diesmal in einer Gruppe eine andere Rolle einnehmen als früher. Nämlich die der Person, die ich wirklich bin.
*Hermann Hesse, "Stufen"
Foto: wandtattoo4all.de
 

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