Zurück in die Vergangenheit
Zurück in die Vergangenheit
27. September 2016.
Eigentlich will ich nur meine Bewerbungen fertig schreiben und mich am
Nachmittag mit einer Freundin treffen. Ein völlig normaler, unspektakulärer
Dienstag. Doch es kommt anders.
In meinem Lebenslauf liste ich die Namen meiner Schulen auf, erst die Grundschule, dann das Gymnasium. Dabei fällt mir auf, wie lange es her ist, dass ich meine Grundschule, unsere frühere Wohnung, zuletzt gesehen habe. Direkt bevor ich aufs Gymnasium kam, sind wir umgezogen. Nicht besonders weit weg, doch die Kontakte, die wir in diesem Ort noch hatten, sind relativ schnell abgebrochen.
Acht Jahre ist es jetzt her, dass ich zuletzt dort war. Fast mein halbes Leben.
Plötzlich erwacht in mir der Wunsch, all das noch einmal zu sehen. An den Ort zu gehen, an dem ich meine Kindheit verbracht habe.
Ich nehme meinen Haustürschlüssel und meine Busfahrkarte, und mache mich auf den Weg. Sobald der Bus den Ort erreicht, blicke ich mich, halb beunruhigt, halb erwartungsfroh, um. Sieht es hier noch immer so aus wie damals? Was hat sich verändert?
Der Bus hält direkt vor der Grundschule. Ich steige aus und gehe den Weg entlang, den meine Füße wie von selbst finden. Die Festwiese, auf der damals das Schulfest stattfand, bei dem ich einen Tennisball gegen das linke Auge bekommen habe (Bis heute sehe ich auf dem linken Auge etwas schwächer als rechts). Die Aula, in der wir damals immer mit dem Schulchor aufgetreten sind.
Ich wage mich nicht in das Gebäude hinein. Was, wenn mich jemand erkennt? Was soll ich dann sagen, wie meine Anwesenheit erklären?
Eigentlich weiß ich ganz genau, dass ich niemandem begegnen werde, der mich erkennen könnte. Die Schüler, die Lehrer, die ich früher mal kannte – alle sind mit Sicherheit nicht mehr auf der Schule. Und selbst wenn – wüssten sie, wer ich bin? Erinnert irgendetwas an mir noch an das kleine schüchterne Mädchen, das damals hier seine Grundschulzeit verbracht hat? Erinnern sie sich überhaupt noch an mich? Oder war ich nur eine von vielen Schülerinnen, wenig auffällig (wenn man mal von den guten Deutschaufsätzen absieht)?
Die andere Seite des Schulgeländes sieht anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Auf meiner rechten Seite befindet sich eine Bibliothek, und ich weiß nicht genau, ob sie erst gebaut wurde, nachdem ich die Schule verlassen hatte, oder ob ich sie nur vergessen hatte.
Ich laufe weiter.
Auf dem Schulhof spielen einige Kinder, offenbar ist gerade große Pause. Ich wende mich nach links. Zu meiner Schulzeit befand sich dort eine Pferdewiese und direkt dahinter unser Haus, man konnte es vom Schulhof aus sehen. Das weiß ich noch ganz genau, weil ich mich erinnern kann, wie meine Mutter einmal über die Pferdewiese zur Schule lief, um mir mein vergessenes Pausenbrot in die Hand zu drücken.
Heute kann ich das Haus nicht mehr sehen. Wo früher Pferde grasten, stehen heute Häuser, sie sehen neu aus. Vor mir liegt der Sportplatz, auf dem wir in der zweiten (oder dritten? Ich weiß es nicht mehr) Klasse einen Spendenlauf für arme Kinder gemacht haben. Ich erinnere mich, dass es damals glühend heiß war, dennoch lief ich, so lange ich konnte.
Ich verlasse das Schulgelände und laufe die Straße entlang, die ich früher immer zur Schule und zurück gelaufen bin. Ich erinnere mich an jeden Zentimeter des Weges, ich bin ihn ja auch oft gegangen. Hinter dem Altenheim rechts abbiegen, dann erreiche ich die Straße, in der ich lange Jahre meines Lebens gewohnt habe.
Bange sehe ich mich um, offensichtlich leide ich unter Verfolgungswahn. Ich weiß immer noch nicht, wie ich reagieren würde, falls mir jemand über den Weg läuft, den ich kenne. Soll ich denjenigen ansprechen? Was soll ich sagen, wenn ich angesprochen werde?
Ich atme tief durch und laufe die Straße entlang. Und plötzlich taucht es vor mir auf, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich wusste nicht, dass es so nah an der Kreuzung liegt, das hatte ich irgendwie anders in Erinnerung. Einen Moment lang bleibe ich stehen und sehe es an. Löst dieser Moment etwas in mir aus, kommen alte Erinnerungen hoch? Sieht das Haus noch genau so aus wie damals oder hat sich etwas verändert?
Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nur noch vage.
Plötzlich erfasst mich Panik. Ich mache auf der Stelle kehrt und laufe, oder besser gesagt, renne zurück. Tränen laufen über mein Gesicht, ich weiß nicht warum. Ich weiß selbst nicht genau, was in mir vorgeht.
Ich laufe, immer weiter. Es fühlt sich an wie eine Flucht. Warum, wovor? Das kann ich mir nicht erklären.
Immer weiter laufe ich, durch den ganzen Ort. Alles fühlt sich so fremd und doch vertraut an. Ich habe das Gefühl, als sei es gar nicht ich gewesen, die hier einmal gelebt hat. Meine Grundschulzeit erscheint so weit weg. Ein völlig anderer Mensch. Eine andere Zeit. Ein anderes Leben.
Mir begegnen keine anderen Menschen, die Straßen sind wie ausgestorben. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Jedes Mal wende ich den Blick ab, drehe mich zur Seite, immer noch verfolgt von dem Gedanken, mich könnte jemand erkennen.
Während ich laufe, ploppen nach und nach die Erinnerungen in mir hoch. Dort vorne, hinter dem Bäcker, wohnte meine beste Kindergartenfreundin. In der Straße zur Rechten mein Kindergartenfreund, der in der Schule nichts mehr von mir wissen wollte, weil es dann ja uncool wurde, als Junge mit einem Mädchen befreundet zu sein. Auf der linken Seite das Schreibwarengeschäft, in dem ich früher immer meine Schulhefte gekauft habe. Die Straße, die wir entlanggefahren sind, wenn ich meinen Freund aus der Musikschule besuchen wollte. In der Ferne der Kirchturm des Ortes, in dem meine Großeltern wohnen; es sieht so weit weg aus.
Diese Gedanken schießen im Schnelldurchlauf durch meinen Kopf, während ich immer weiter laufe und laufe, nicht langsamer werde. Erst als ich die Straße erreiche, die meinen aktuellen und meinen früheren Wohnort verbindet (oder doch eher trennt?!), bleibe ich stehen und atme durch.
Ich steige wieder in den Bus, fahre nach Hause. Friedlich sieht unsere Straße, unser Haus aus. Mein Inneres ist dagegen aufgewühlt.
Irgendwie habe ich das Gefühl, vor mir selbst, meiner Vergangenheit weggelaufen zu sein an diesem Dienstagmorgen. Ich bin mir selber nicht sicher, was ich mir von diesem Ausflug erhofft habe. Die Person, die damals in dem Ort gelebt hat, hat mit meinem heutigen Ich nicht mehr viel gemeinsam, außer der Leidenschaft für Musik (wobei ich damals auch einen komplett anderen Musikgeschmack hatte) und Bücher.
Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit, und ich bin in diesen acht Jahren irgendwie ein völlig anderer Mensch geworden. Ich weiß selbst nicht, warum ich diesen Text überhaupt schreibe. Vielleicht weil mich dieser "Ausflug" immer noch beschäftigt, weil ich mir all das selbst nicht genau erklären kann. Weil ich es im Nachhinein feige finde, weggelaufen zu sein und mir wünsche, mich meiner Vergangenheit zu stellen…ach, ich weiß es einfach nicht.
Vermutlich werde ich weiter nachgrübeln, und mir nach außen hin nichts anmerken lassen. Von diesem Dienstagmorgen, diesem Abenteuer, habe ich niemandem erzählt. Ich glaube, es ist besser, wenn all das ein Geheimnis bleibt.
In meinem Lebenslauf liste ich die Namen meiner Schulen auf, erst die Grundschule, dann das Gymnasium. Dabei fällt mir auf, wie lange es her ist, dass ich meine Grundschule, unsere frühere Wohnung, zuletzt gesehen habe. Direkt bevor ich aufs Gymnasium kam, sind wir umgezogen. Nicht besonders weit weg, doch die Kontakte, die wir in diesem Ort noch hatten, sind relativ schnell abgebrochen.
Acht Jahre ist es jetzt her, dass ich zuletzt dort war. Fast mein halbes Leben.
Plötzlich erwacht in mir der Wunsch, all das noch einmal zu sehen. An den Ort zu gehen, an dem ich meine Kindheit verbracht habe.
Ich nehme meinen Haustürschlüssel und meine Busfahrkarte, und mache mich auf den Weg. Sobald der Bus den Ort erreicht, blicke ich mich, halb beunruhigt, halb erwartungsfroh, um. Sieht es hier noch immer so aus wie damals? Was hat sich verändert?
Der Bus hält direkt vor der Grundschule. Ich steige aus und gehe den Weg entlang, den meine Füße wie von selbst finden. Die Festwiese, auf der damals das Schulfest stattfand, bei dem ich einen Tennisball gegen das linke Auge bekommen habe (Bis heute sehe ich auf dem linken Auge etwas schwächer als rechts). Die Aula, in der wir damals immer mit dem Schulchor aufgetreten sind.
Ich wage mich nicht in das Gebäude hinein. Was, wenn mich jemand erkennt? Was soll ich dann sagen, wie meine Anwesenheit erklären?
Eigentlich weiß ich ganz genau, dass ich niemandem begegnen werde, der mich erkennen könnte. Die Schüler, die Lehrer, die ich früher mal kannte – alle sind mit Sicherheit nicht mehr auf der Schule. Und selbst wenn – wüssten sie, wer ich bin? Erinnert irgendetwas an mir noch an das kleine schüchterne Mädchen, das damals hier seine Grundschulzeit verbracht hat? Erinnern sie sich überhaupt noch an mich? Oder war ich nur eine von vielen Schülerinnen, wenig auffällig (wenn man mal von den guten Deutschaufsätzen absieht)?
Die andere Seite des Schulgeländes sieht anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Auf meiner rechten Seite befindet sich eine Bibliothek, und ich weiß nicht genau, ob sie erst gebaut wurde, nachdem ich die Schule verlassen hatte, oder ob ich sie nur vergessen hatte.
Ich laufe weiter.
Auf dem Schulhof spielen einige Kinder, offenbar ist gerade große Pause. Ich wende mich nach links. Zu meiner Schulzeit befand sich dort eine Pferdewiese und direkt dahinter unser Haus, man konnte es vom Schulhof aus sehen. Das weiß ich noch ganz genau, weil ich mich erinnern kann, wie meine Mutter einmal über die Pferdewiese zur Schule lief, um mir mein vergessenes Pausenbrot in die Hand zu drücken.
Heute kann ich das Haus nicht mehr sehen. Wo früher Pferde grasten, stehen heute Häuser, sie sehen neu aus. Vor mir liegt der Sportplatz, auf dem wir in der zweiten (oder dritten? Ich weiß es nicht mehr) Klasse einen Spendenlauf für arme Kinder gemacht haben. Ich erinnere mich, dass es damals glühend heiß war, dennoch lief ich, so lange ich konnte.
Ich verlasse das Schulgelände und laufe die Straße entlang, die ich früher immer zur Schule und zurück gelaufen bin. Ich erinnere mich an jeden Zentimeter des Weges, ich bin ihn ja auch oft gegangen. Hinter dem Altenheim rechts abbiegen, dann erreiche ich die Straße, in der ich lange Jahre meines Lebens gewohnt habe.
Bange sehe ich mich um, offensichtlich leide ich unter Verfolgungswahn. Ich weiß immer noch nicht, wie ich reagieren würde, falls mir jemand über den Weg läuft, den ich kenne. Soll ich denjenigen ansprechen? Was soll ich sagen, wenn ich angesprochen werde?
Ich atme tief durch und laufe die Straße entlang. Und plötzlich taucht es vor mir auf, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich wusste nicht, dass es so nah an der Kreuzung liegt, das hatte ich irgendwie anders in Erinnerung. Einen Moment lang bleibe ich stehen und sehe es an. Löst dieser Moment etwas in mir aus, kommen alte Erinnerungen hoch? Sieht das Haus noch genau so aus wie damals oder hat sich etwas verändert?
Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nur noch vage.
Plötzlich erfasst mich Panik. Ich mache auf der Stelle kehrt und laufe, oder besser gesagt, renne zurück. Tränen laufen über mein Gesicht, ich weiß nicht warum. Ich weiß selbst nicht genau, was in mir vorgeht.
Ich laufe, immer weiter. Es fühlt sich an wie eine Flucht. Warum, wovor? Das kann ich mir nicht erklären.
Immer weiter laufe ich, durch den ganzen Ort. Alles fühlt sich so fremd und doch vertraut an. Ich habe das Gefühl, als sei es gar nicht ich gewesen, die hier einmal gelebt hat. Meine Grundschulzeit erscheint so weit weg. Ein völlig anderer Mensch. Eine andere Zeit. Ein anderes Leben.
Mir begegnen keine anderen Menschen, die Straßen sind wie ausgestorben. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Jedes Mal wende ich den Blick ab, drehe mich zur Seite, immer noch verfolgt von dem Gedanken, mich könnte jemand erkennen.
Während ich laufe, ploppen nach und nach die Erinnerungen in mir hoch. Dort vorne, hinter dem Bäcker, wohnte meine beste Kindergartenfreundin. In der Straße zur Rechten mein Kindergartenfreund, der in der Schule nichts mehr von mir wissen wollte, weil es dann ja uncool wurde, als Junge mit einem Mädchen befreundet zu sein. Auf der linken Seite das Schreibwarengeschäft, in dem ich früher immer meine Schulhefte gekauft habe. Die Straße, die wir entlanggefahren sind, wenn ich meinen Freund aus der Musikschule besuchen wollte. In der Ferne der Kirchturm des Ortes, in dem meine Großeltern wohnen; es sieht so weit weg aus.
Diese Gedanken schießen im Schnelldurchlauf durch meinen Kopf, während ich immer weiter laufe und laufe, nicht langsamer werde. Erst als ich die Straße erreiche, die meinen aktuellen und meinen früheren Wohnort verbindet (oder doch eher trennt?!), bleibe ich stehen und atme durch.
Ich steige wieder in den Bus, fahre nach Hause. Friedlich sieht unsere Straße, unser Haus aus. Mein Inneres ist dagegen aufgewühlt.
Irgendwie habe ich das Gefühl, vor mir selbst, meiner Vergangenheit weggelaufen zu sein an diesem Dienstagmorgen. Ich bin mir selber nicht sicher, was ich mir von diesem Ausflug erhofft habe. Die Person, die damals in dem Ort gelebt hat, hat mit meinem heutigen Ich nicht mehr viel gemeinsam, außer der Leidenschaft für Musik (wobei ich damals auch einen komplett anderen Musikgeschmack hatte) und Bücher.
Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit, und ich bin in diesen acht Jahren irgendwie ein völlig anderer Mensch geworden. Ich weiß selbst nicht, warum ich diesen Text überhaupt schreibe. Vielleicht weil mich dieser "Ausflug" immer noch beschäftigt, weil ich mir all das selbst nicht genau erklären kann. Weil ich es im Nachhinein feige finde, weggelaufen zu sein und mir wünsche, mich meiner Vergangenheit zu stellen…ach, ich weiß es einfach nicht.
Vermutlich werde ich weiter nachgrübeln, und mir nach außen hin nichts anmerken lassen. Von diesem Dienstagmorgen, diesem Abenteuer, habe ich niemandem erzählt. Ich glaube, es ist besser, wenn all das ein Geheimnis bleibt.
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